Sinfonie Nr. 101 D-Dur HobI:101

›Die Uhr‹

Als Haydn Ende Januar 1794 zum zweiten Mal nach London aufbrach, wusste er, dass das Konzertleben dort fast unmittelbar nach seiner Ankunft beginnen würde. Deshalb hatte er bereits eine Menge Musik für sein englisches Publikum parat, so zum Beispiel – nach dem Papier zu schließen, auf das er die Noten schrieb – den dritten Satz der Sinfonie Nr. 101 mit dem Menuett und dem Trio. Da jedoch auch die übrigen drei Sätze – obwohl auf englischem Papier notiert – bereits am 3. März, also nur einen Monat nach seiner Ankunft, reif für die Uraufführung waren, kann man davon ausgehen, dass er auch davon bereits einen Gutteil unter Dach und Fach hatte.

Tatsächlich hatte er bereits im Jahr zuvor eine Version des Menuetts für eine mechanische Uhr mit einer Miniaturorgel im Inneren verwendet (wie Mozart und Beethoven schrieb auch Haydn gern Stücke für mechanische Instrumente, die damals ein beliebtes Spielzeug waren).

Das ist insofern amüsant, als diese Musik ihren bekannten Beinamen ja nicht deswegen erhielt, weil sie zuvor in einer Uhr erklang. Der wurde ihr vielmehr schon sehr früh wegen des langsamen Satzes mit seiner charakteristischen und komischen ›Ticktack‹-Begleitung verliehen. Bei der ersten Aufführung in London war diese ›Uhrenmusik‹ ein so großer Erfolg, dass sie bald darauf in Wien als Rondo. Die Uhr in einer Klavierbearbeitung herausgegeben wurde und sich in der Hausmusik großer Beliebtheit erfreute.

Die englischen Zeitungen – und London war damals eines der lebendigsten und freiesten Pressezentren in Europa – feierten Haydns symphonische Rückkehr in die britische Hauptstadt voller Begeisterung:
»Ein besonderes Vergnügen war wie immer eine neue große Symphonie von Haydn … [statt von Symphonie sprach man damals, insbesondere in England, gern von ›Ouvertüre‹] … der unerschöpfliche, der wunderbare, der erhabene Haydn! Die ersten beiden Sätze wurden mit Zugaben bedacht; und die ganze Komposition war von einem Gefühl herzerwärmender Freude durchzogen. Bei jeder neuen Ouvertüre, die er schreibt, fürchten wir bis zu ihrer Aufführung, er könnte sich womöglich wiederholen, und jedes Mal sehen wir, dass wir uns geirrt haben. Nichts kann origineller sein als das Thema des ersten Satzes; und nachdem er ein glückliches Thema gefunden hat, versteht es niemand wie Haydn, unaufhörliche Variationen hervorzubringen, ohne auch nur einmal davon abzuweichen …«

Hinter diesen hübschen journalistischen Umschreibungen verbirgt sich eine wahrhaft bedeutende Erkenntnis. Denn was das damalige Publikum an dieser Musik so erstaunlich fand, war ihre fantastische Unvorhersehbarkeit, war der Umstand, dass dieser Komponist eine äußerst eingängige musikalische Idee (»ein glückliches Thema«) entwickeln und dann diese Idee »unaufhörlich variieren konnte, ohne auch nur einmal davon abzuweichen«.

Bemerkenswert an dieser besonderen Symphonie ist auch, dass der erheiternde Eindruck, alles leite sich auf tausenderlei Art von einer einzigen, ursprünglichen Idee ab, nicht nur im ersten Satz, sondern in allen vier Sätzen anhält. Ob Haydn es nun bewusst und ernsthaft so gewollt hat oder ob er einfach nur einem inneren Spieltrieb gefolgt ist – in jedem der letzten drei Sätze klingen dieselben spielerischen, sich auf und ab bewegenden musikalischen Grundgedanken an, die wir bereits in den düsteren Anfangstakten des ersten Satzes hören. Die Idee ist allgegenwärtig, und dieser Symphonie zuzuhören ist so, als würde man einer Pflanze beim Sprießen und Wachsen zusehen.

Kein Wunder, dass die englischen Kommentatoren jener Zeit die ›unendliche Vielfalt‹ der Musik Haydns hervorhoben und sich mit Recht, aber auch mit einer gewissen patriotischen Komik gegenseitig in dem Bemühen übertrafen, den deutschen Komponisten als »musikalischen Shakespeare« zu preisen.

Die englischen Zeitungen – und London war damals eines der lebendigsten und freiesten Pressezentren in Europa – feierten Haydns symphonische Rückkehr in die britische Hauptstadt voller Begeisterung:
»Ein besonderes Vergnügen war wie immer eine neue große Symphonie von Haydn … [statt von Symphonie sprach man damals, insbesondere in England, gern von ›Ouvertüre‹] … der unerschöpfliche, der wunderbare, der erhabene Haydn! Die ersten beiden Sätze wurden mit Zugaben bedacht; und die ganze Komposition war von einem Gefühl herzerwärmender Freude durchzogen. Bei jeder neuen Ouvertüre, die er schreibt, fürchten wir bis zu ihrer Aufführung, er könnte sich womöglich wiederholen, und jedes Mal sehen wir, dass wir uns geirrt haben. Nichts kann origineller sein als das Thema des ersten Satzes; und nachdem er ein glückliches Thema gefunden hat, versteht es niemand wie Haydn, unaufhörliche Variationen hervorzubringen, ohne auch nur einmal davon abzuweichen …«

Hinter diesen hübschen journalistischen Umschreibungen verbirgt sich eine wahrhaft bedeutende Erkenntnis. Denn was das damalige Publikum an dieser Musik so erstaunlich fand, war ihre fantastische Unvorhersehbarkeit, war der Umstand, dass dieser Komponist eine äußerst eingängige musikalische Idee (»ein glückliches Thema«) entwickeln und dann diese Idee »unaufhörlich variieren konnte, ohne auch nur einmal davon abzuweichen«.

Bemerkenswert an dieser besonderen Symphonie ist auch, dass der erheiternde Eindruck, alles leite sich auf tausenderlei Art von einer einzigen, ursprünglichen Idee ab, nicht nur im ersten Satz, sondern in allen vier Sätzen anhält. Ob Haydn es nun bewusst und ernsthaft so gewollt hat oder ob er einfach nur einem inneren Spieltrieb gefolgt ist – in jedem der letzten drei Sätze klingen dieselben spielerischen, sich auf und ab bewegenden musikalischen Grundgedanken an, die wir bereits in den düsteren Anfangstakten des ersten Satzes hören. Die Idee ist allgegenwärtig, und dieser Symphonie zuzuhören ist so, als würde man einer Pflanze beim Sprießen und Wachsen zusehen.

Kein Wunder, dass die englischen Kommentatoren jener Zeit die ›unendliche Vielfalt‹ der Musik Haydns hervorhoben und sich mit Recht, aber auch mit einer gewissen patriotischen Komik gegenseitig in dem Bemühen übertrafen, den deutschen Komponisten als »musikalischen Shakespeare« zu preisen.

Sinfonie Nr. 103 Es-Dur HobI:103

›Mit dem Paukenwirbel‹

Mehr als jeder andere war es der Geiger, Komponist und Unternehmer Johann Peter Salomon, der Haydn zu seinen beiden Reisen nach London überredete. Gegen Ende des Jahres 1790 hatte er genug Geld beisammen, um nach Wien reisen und den großen Komponisten einladen zu können, ihn nach England zu begleiten. Salomon war auch die treibende Kraft hinter Haydns zweitem Besuch im Jahr 1794.

Seine Londoner Konzerte gab Salomon in den Hanover Square Concert Rooms, die sich unweit der heutigen Londoner Straßenkreuzung Oxford Circus befanden und einige Jahre zuvor von den deutschen Komponisten Johann Christian Bach und Carl Friedrich Abel gegründet worden waren. Im Winter 1794 bis 1795 sah sich Salomon jedoch aufgrund der anhaltenden Kriegswirren in Europa und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in seiner Heimat gezwungen, seine Konzertreihe einzustellen und sich mit einem konkurrierenden Unternehmen zusammenzutun, das einen neu errichteten Konzertsaal im King’s Theatre am Haymarket betrieb, ein paar Straßen südöstlich des Hanover Square. Da diese Institution vor allem als Opernspielstätte bekannt war, nannte man die neuen Konzerte ›Concerts at the Opera‹. Im ›Neuen Saal‹ des Theaters gab Haydn zwischen Januar und Mai 1795 alle seine letzten Londoner Konzerte, darunter auch die Uraufführungen seiner letzten drei Sinfonien.

Sein vorletztes Werk, die Symphonie Nr. 103 ›Mit dem Paukenwirbel‹, wurde am 2. März 1795 im Neuen Saal uraufgeführt, fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Uraufführung der 101. Symphonie am nahegelegenen Hanover Square. Und wie fast alle Aufführungen Haydns in London war auch diese ein großer Erfolg: »Eine weitere neue Symphonie des so begnadeten und hinreißenden Haydn wurde aufgeführt, die sich wie immer als einzige Serie von Geniestreichen erwies, sowohl unter melodischen als auch unter harmonischen Gesichtspunkten. Die Einleitung erregte die größte Aufmerksamkeit, das Allegro bezauberte, das Andante wurde als Zugabe gespielt, die Menuette, besonders das Trio, waren spielerisch und süß, und der letzte Satz war den vorangegangenen gleichwertig, wenn nicht gar überlegen.« Auf den ersten Blick mag dies nicht die aufschlussreichste Rezension sein. Aber der Kritiker hat nicht unrecht mit seiner Bemerkung, dass »die Einleitung die größte Aufmerksamkeit erregte«. In allen späteren Sinfonien Haydns sind es die langsamen Einleitungen zu Beginn der ersten Sätze (nur eine der Londoner Sinfonien kommt ohne eine solche aus), die – wie die scheinbar beiläufigen Anfangszeilen eines Shakespeare-Stücks – den dramatischen und musikalischen Gehalt des gesamten Werks in besonderem Maße bestimmen.

Und die Einleitung der 103. Symphonie ist vielleicht die aufregendste und ungewöhnlichste, die Haydn je geschrieben hat. Sie beginnt, ungemein gewagt, mit dem geheimnisvollen Trommelwirbel, dem dieses Werk ihren Beinamen verdankt. Auf dieses ferne Donnergrollen folgt ein düsteres und kraftvolles Motiv der Fagotte, Celli und Kontrabässe, das offenbar von dem Dies Irae, einem alten römisch-katholischen Totenlied, inspiriert ist und das dann plötzlich von einem herrlich unbeschwerten Allegro con spirito, einer Musik von scheinbar wunderbarer Unschuld, vertrieben wird – bis wir bemerken, dass die flatternden und tanzenden Melodien im oberen Register allesamt subtile Abwandlungen des dunklen Anfangsliedes sind. Um es zu wiederholen: »unaufhörliche Vielfalt«, die sich aus einer einzigen Idee ableitet.

Tatsächlich dürfte das Londoner Publikum zu Haydns Zeit, das überwiegend aus englischen Protestanten bestand, diese religiösen Anspielungen eines zutiefst katholischen Komponisten wohl kaum bemerkt haben. Aber wir wissen, dass solche Dinge für Haydn von großer Bedeutung waren. Im August 1794 hatte er bei einem Landaufenthalt im Süden Londons reumütig festgestellt: »Hier sind Ueberreste einer Abtey, die schon 600 Jahre steht. Ich muß gestehen, daß, so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete, mein Herz beklemmt wurde, daß alles dieses einst unter meiner Religion stand.«

Es war aber nicht nur dieser Aspekt der Sinfonie, der dem Publikum der Londoner Uraufführung entgangen sein dürfte. Denn sosehr man ohne Frage die Klänge der rustikalen Jagdhörner goutierte, die durch den dritten und vierten Satz der Sinfonie ertönen, und sosehr man auch den aufregenden und etwas mysteriösen Militärmarsch zu würdigen wusste, der in den Variationen des Andante im zweiten Satz Formen annimmt – er wurde bei dieser Aufführung als ›Zugabe‹ gespielt, zweifellos wegen seiner Verwandtschaft mit dem damals schon äußerst beliebten langsamen Satz der 100., der ›Militärsymphonie‹ –, so wenig werden die deutlich volkstümlichen Melodien im Andante des zweiten Satzes und im energiegeladenen Finale von den Zuschauern bemerkt worden sein.

Als im 19. Jahrhundert der musikalische Nationalismus seine Blüten trieb, wurde ernsthaft behauptet, dass es sich bei den Melodien, auf die Haydn hier zurückgreift, um kroatische Tänze und Lieder handele, die er während seiner Kindheit in den österreichisch-ungarischen Grenzgebieten gehört habe, wo diese Musik populär war. Die moderne Forschung steht dieser Idee eher skeptisch gegenüber. Und vielleicht werden wir nie erfahren, wie direkt sich Haydn bestimmter Einflüsse bedient hat. Aber eines ist klar: In all das, was er im Winter 1794/95 in England für sein Londoner Publikum komponierte, ließ er mit Sicherheit die Art von Musik einfließen, die er sein Leben lang in seinem Heimatland gehört hatte – so wie das Dies irae, das er seit seiner frühen Kindheit als Chorknabe in Wien kannte. Und als sich Haydns Zeit in England ihrem Ende zuneigte, wandten sich seine Gedanken offenbar wieder dorthin zurück, woher er gekommen war.

Und die Einleitung der 103. Symphonie ist vielleicht die aufregendste und ungewöhnlichste, die Haydn je geschrieben hat. Sie beginnt, ungemein gewagt, mit dem geheimnisvollen Trommelwirbel, dem dieses Werk ihren Beinamen verdankt. Auf dieses ferne Donnergrollen folgt ein düsteres und kraftvolles Motiv der Fagotte, Celli und Kontrabässe, das offenbar von dem Dies Irae, einem alten römisch-katholischen Totenlied, inspiriert ist und das dann plötzlich von einem herrlich unbeschwerten Allegro con spirito, einer Musik von scheinbar wunderbarer Unschuld, vertrieben wird – bis wir bemerken, dass die flatternden und tanzenden Melodien im oberen Register allesamt subtile Abwandlungen des dunklen Anfangsliedes sind. Um es zu wiederholen: »unaufhörliche Vielfalt«, die sich aus einer einzigen Idee ableitet.

Tatsächlich dürfte das Londoner Publikum zu Haydns Zeit, das überwiegend aus englischen Protestanten bestand, diese religiösen Anspielungen eines zutiefst katholischen Komponisten wohl kaum bemerkt haben. Aber wir wissen, dass solche Dinge für Haydn von großer Bedeutung waren. Im August 1794 hatte er bei einem Landaufenthalt im Süden Londons reumütig festgestellt: »Hier sind Ueberreste einer Abtey, die schon 600 Jahre steht. Ich muß gestehen, daß, so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete, mein Herz beklemmt wurde, daß alles dieses einst unter meiner Religion stand.«

Es war aber nicht nur dieser Aspekt der Sinfonie, der dem Publikum der Londoner Uraufführung entgangen sein dürfte. Denn sosehr man ohne Frage die Klänge der rustikalen Jagdhörner goutierte, die durch den dritten und vierten Satz der Sinfonie ertönen, und sosehr man auch den aufregenden und etwas mysteriösen Militärmarsch zu würdigen wusste, der in den Variationen des Andante im zweiten Satz Formen annimmt – er wurde bei dieser Aufführung als ›Zugabe‹ gespielt, zweifellos wegen seiner Verwandtschaft mit dem damals schon äußerst beliebten langsamen Satz der 100., der ›Militärsymphonie‹ –, so wenig werden die deutlich volkstümlichen Melodien im Andante des zweiten Satzes und im energiegeladenen Finale von den Zuschauern bemerkt worden sein.

Als im 19. Jahrhundert der musikalische Nationalismus seine Blüten trieb, wurde ernsthaft behauptet, dass es sich bei den Melodien, auf die Haydn hier zurückgreift, um kroatische Tänze und Lieder handele, die er während seiner Kindheit in den österreichisch-ungarischen Grenzgebieten gehört habe, wo diese Musik populär war. Die moderne Forschung steht dieser Idee eher skeptisch gegenüber. Und vielleicht werden wir nie erfahren, wie direkt sich Haydn bestimmter Einflüsse bedient hat. Aber eines ist klar: In all das, was er im Winter 1794/95 in England für sein Londoner Publikum komponierte, ließ er mit Sicherheit die Art von Musik einfließen, die er sein Leben lang in seinem Heimatland gehört hatte – so wie das Dies irae, das er seit seiner frühen Kindheit als Chorknabe in Wien kannte. Und als sich Haydns Zeit in England ihrem Ende zuneigte, wandten sich seine Gedanken offenbar wieder dorthin zurück, woher er gekommen war.