Haydn – ›The Shakespeare of Music‹
London calling
Bei seinen Aufenthalten in London 1791 und 92 avancierte Joseph Haydn zum gefeierten Star der britischen Metropole. Seit geraumer Zeit widmen sich Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Chef-Dirigent Paavo Järvi dem Londoner Zyklus des humorvollen Komponisten. Nach umjubelten Konzerten unter anderem in Hamburg, Wien, Tokio oder Seoul erscheinen nun die ersten Einspielungen der ›London Symphonies‹.
Erfahren Sie hier mehr über Haydns Londoner Sinfonien und blicken Sie auch hinter die Kulissen!
Joseph Haydn – die Londoner Sinfonien
Eine Einführung
Text: Gerard McBurney
Am Neujahrstag des Jahres 1791 um 7.30 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, bestieg Europas berühmtester Komponist in der französischen Hafenstadt Calais ein Schiff, um den Ärmelkanal nach Dover zu überqueren. Er war 58 Jahre alt und zum ersten Mal auf dem offenen Meer:
»wehrend der ganzen überfahrt bliebe ich oben auf den schif um das ungeheure Thier das Meer satsam zu betrachten, solange es windstill war, förchtete ich mich nicht, zulezt aber, da der immer stärckere wind ausbrach und ich die heranschlagende ungestimme hohe wellen sähe, überfiel mich eine kleine angst, und mit dieser eine kleine üblichkeit. doch überwündete ich alles, und kam ohne S: v: zu brechen glücklich an das gestadt. die meisten wurden kranck, und sahen wie die geister aus; da ich aber nach london kam, wurde ich erst die beschwerde der Reise gewahr, ich gebrauchte 2 Tag um mich zu erhollen. nun aber bin ich wider ganz frisch und Munter, und betrachte die unendlich grosse Stadt london, welche wegen Ihren verschiedenen Schönheiten und wunder dingen ganz in Erstaunung versezt, […] meine anckunft verursachte grosses aufsehen durch die ganze Stadt durch 3 Tag«
Haydns erster Englandaufenthalt dauerte 18 Monate und bescherte ihm eine Reihe von Triumphen, darunter die Uraufführung der ersten sechs seiner zwölf Londoner Sinfonien (Nr. 93 bis 98). Ende Juni 1792 machte er sich auf den Heimweg über den Ärmelkanal und war am 24. Juli wieder in Wien.
Zu dieser Zeit waren die Londoner der Auffassung, der Komponist werde relativ bald wieder nach England zurückkehren, doch führten nicht zuletzt die zunehmenden Wirren der Französischen Revolution dazu, dass sich diese Erwartungen nicht erfüllten. Es sollte noch bis zum 4. Februar 1794 dauern, bis Haydn zu seinem zweiten und ebenso triumphalen Besuch in die englische Hauptstadt aufbrach und dort die Uraufführung seiner letzten sechs Sinfonien (Nr. 99 bis 104) erlebte.
Am 15. August 1795 verließ Joseph Haydn England zum zweiten Mal – diesmal für immer. Sein Besuch dauerte wie der erste etwa 18 Monate und wurde zum Ende hin von einem der erfolgreichsten Konzerte seiner gesamten Karriere gekrönt. In seinem privaten Notizbuch beschrieb der Komponist die näheren Umstände: »Den 4ten May 1795 gab ich mein Benefiz-Konzert im Haymarket-Theater. Der Saal war voll von auserlesener Gesellschaft, a) Erster Theil der Militär-Symphonie; Aria (Rovedino); Concert (Ferlandy) zum erstenmal; Duett (Morichelli und Morelli) von mir; eine neue Symphonie in D und zwar die zwölfte und letzte von den Englischen; b) zweyter Theil der Militär-Symphonie; Aria (Morichelli), Concerto (Viotti), Scena nuova von mir, Mad. Banti (She song very scanty) [Sie sang sehr mittelmäßig].« [Diese herrliche Notiz ist größtenteils auf Deutsch geschrieben – die so erheiternd kritische Bemerkung über Madame Bantis Gesang aber ist in – falschem – Englisch verfasst!]
Und er fügte hinzu: »Die ganze Gesellschaft war äußerst vergnügt und auch ich. Ich machte diesen Abend vier tausend Gulden. So etwas kann man nur in England machen.«
»So lebendig muss Haydn klingen«